POWWOW - INTENSIVSTATION

Foto:Renata Chueire

POWWOW - INTENSIVSTATION

Café Wagner, Wagnergasse 26, Jena

!! ACHTUNG !! im Cafe Wagner gelten die 2 G Regeln (Einlass für Geimpfte und Genesene )

Im Rahmen von JIP40 - Gefördert von: NEUSTART KULTUR, Initiative Musik und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM

Alfred Vogel – drums
Wolfgang Zwiauer -bass
John Schröder-key, g,

Im Westen nichts Neues? Alles schon da gewesen? Was Frank Zappa vor knapp 50 Jahren dem Jazz ins Poesiealbum schrieb, kann man heute wohl sinngemäß von der Musik im Ganzen sagen – sie ist zwar nicht tot, muffelt aber schon ein wenig. Höchste Zeit für einen Aufenthalt in der Intensivstation, auf der alles wieder auf Anfang gesetzt wird.

In dem Wort Intensivstation verbirgt sich der Begriff „Intensität“. In den multiplen Kollisionen von Drummer Alfred Vogel, Multiinstrumentalist John Schröder und Bassist Wolfgang Zwiauer geht es genau darum, diesen abstrakten Begriff in einen Prozess der Kernschmelze zu transformieren. Dabei wird ungemein viel Energie freigesetzt, spielerisch, zwischenmenschlich und spirituell. Der Augenblick dehnt sich in die Unendlichkeit, das weite Rund des Horizonts schrumpft auf einen Punkt.

Alle drei Musiker bringen ihr Gepäck mit. John Schröder machte sich in der Berliner Szene vor allem in der Band Der Rote Bereich einen Namen, war aber als Multitasker auch in unzähligen anderen Formationen unterschiedlichster Genres zu hören. Auf der Intensivstation spielt er bis zu drei Instrumente gleichzeitig, sodass die Dreimann-Band zuweilen wie ein Quintett oder Größeres klingt. Den schweizerischen Bassisten Wolfgang Zwiauer auf eine überschaubare Anzahl an Projekten, Genres oder Ideen festzulegen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist wie der Igel im Märchen der Brüder Grimm, kaum glaubt man ihn irgendwo auszumachen, ist er schon wieder am anderen Ende des Spektrums. Der österreichische Schlagzeuger Alfred Vogel trommelt wie ein Oktopus. Besondere Aufmerksamkeit erlangte er in den konzeptionellen Rundumschlägen von Bands wie Hang Em High oder Die Glorreichen Sieben. Aus seinem variablen Langzeitprojekt Vogelperspektive, das auf fünf Alben dokumentiert ist, ging letztlich auch die Intensivstation hervor.

Streckenweise mag es scheinen, das Trio knüpfe an den provokanten Electric Jazz von Miles Davis’ „Bitches Brew“, die unvermittelten Ausbrüche eines Sonny Sharrock oder die asynchronen Verschränkungen von Ornette Colemans frühen Prime Time Experimenten an, doch dann kratzt, schabt, röchelt, blubbert, dröhnt oder wummert es unversehens aus einer ganz anderen Ecke und versetzt den sicher geglaubten Assoziationswinkel ins Unbekannte, Unerhörte, Unerforschte. Alles Bisherige wirkt wie eine gigantische Bibliothek, auf die die drei Akteure frei und ohne jedwede Rücksicht zugreifen. Alle erdenklichen Kreaturen von Noise und Drone, Patchwork Music, Drum’n’Bass, Death Metal, elektronischer Musik, Blues, HipHop und vielem mehr haben auf dem unausweichlichen Weg zur Intensivstation ihre Spuren hinterlassen. Aus der Überlagerung dreier unterschiedlicher Hintergründe und Spielhaltungen wird in der Interaktion eine beispiellose Musik, die auf ihrem Höhenflug alle Referenzen abwirft.

Alle drei Beteiligten geben sich mit Hingabe und Konzentration dem Naturereignis der totalen Klangfindung hin. Dabei entstehen so viele Obertöne, Subtexte und zusätzliche Metaebenen, dass die Magie des Geschehens die unmittelbare Herkunft jedes Impulses fast zur Nebensache macht. Es geht nicht um die Instrumente, Konzepte und Einflüsse, nicht einmal um die ausführenden Persönlichkeiten, sondern in jedem einzelnen Augenblick um das unabsehbare Destillat aus der Gesamtheit aller Komponenten. Nach eigenem Bekunden geht es für Zwiauer, Vogel und Schröder um eine enggliedrige Kette von individuellen Entscheidungen, aus denen sich ein kollektiver Flow ergibt. Wäre dieser Begriff nicht so abgenutzt, könnte man es im besten Sinne des Wortes „Improvisation“ nennen. So aber müssen wir offen eingestehen, dass es für die virulente Intensität dieses ebenso spontanen wie flexiblen Vokabulars gar keinen passenden Begriff gibt. Und siehe da, das bracht es auch gar nicht, denn die Musik spricht ja für sich selbst.

Und um jede kategorische und merkantile Einordnung noch am Ende schwerer, um nicht zu sagen, unmöglich zu machen, löst sich das Trio auch vom gängigen Format. Neben der CD „Intensivstation“ wird es ein Jahr lang monatlich einen zusätzlich über das Internet vertriebenen Track der Band geben. Die Aufnahmen des Albums und seiner Satelliten erfolgten über einen Zeitraum von mehreren Jahren, entsprechend soll auch der Annäherung über das Ohr ein zeitlich unlimitierter Zugang ermöglicht werden.

Im Westen nichts Neues? Alles schon gehört? Bitches Brew ohne Miles Davis? Pustekuchen. Wenn überhaupt, dann kocht uns die Intensivstation ein gepfeffertes Bridges Brew.

Text: Wolf Kampmann

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